Skip to main content

Eine Bestandsaufnahme der aktuellen Debatte von Prof. Dr. Hirschauer und Prof. Dr. Mußhoff:

 

Die diesjährige Trockenheit hat bei vielen Landwirten hohe Ernteeinbußen verursacht. Der Deutsche Bauernverband (DBV) fordert zum Ausgleich der Schäden staatliche Dürrehilfen (Ad-hoc-Hilfen) von 1 Milliarde Euro. Diese Forderungen werden von Wissenschaftlern, Teilen der Gesellschaft, aber auch von Teilen des Berufsstands kritisiert. So konstatiert etwa der einschlägig bekannte „bloggende Bauer Willi“, dass damit letztlich die Landwirte bestraft werden, die in guten Zeiten selbst Vorsorge getroffen haben. In Niedersachsen wird sogar im Bauernverband kontrovers diskutiert. Der Landvolkverband Nordost-Niedersachsen hat sich gegen zusätzliche Geldleistungen ausgesprochen.

Die Forderung des Bauernverbands nach Dürrehilfen wird insbesondere wegen des hohen Umfangs der regelmäßig gewährten Agrarsubventionen hinterfragt. Die deutschen Landwirte erhalten allein von der Europäischen Union jährlich „Direktzahlungen“ von rund 4,8 Milliarden Euro (290 Euro je Hektar), die nach offizieller Lesart der „Einkommenssicherung und Einkommensstabilisierung“ der Landwirte dienen. Zusätzlich versuchen Verbandsvertreter, die Direktzahlungen als Pauschalentgelt zu legitimieren, das den Landwirten für die im internationalen Vergleich „erhöhten“ Produktionsstandards in der EU zustehe.

Zu einer tendenziell positiven Haltung der Öffentlichkeit gegenüber Dürrehilfen trägt bei, dass diese aufgrund der Verbandsrhetorik „Landwirte in Not“ in großen Teilen gar nicht weiß, dass bei der Gewährung der Dürrehilfen die „Bedürftigkeit“ der Landwirte keinerlei Rolle spielt. Was bedeutet das? Viele Landwirte haben in den vergangenen Jahrzehnten vieles richtig gemacht, ihre Standortvorteile genutzt und etwa in die Energieerzeugung (Biogas, Solar, Windkraft) investiert. Einerseits war das wegen des Erneuerbare- Energien-Gesetzes lukrativ. Andererseits führt die Kombination landwirtschaftlicher und nichtlandwirtschaftlicher Geschäftsfelder zu einem erwünschten Risikoausgleich. In diesem Jahr liegt beispielsweise in vielen Regionen die Anzahl der Sonnenstunden um 30 bis 40 Prozent über dem langjährigen Mittel. Ein Landwirt mit einer großen Solaranlage auf seiner Maschinenhalle ist also trotz Einbußen im landwirtschaftlichen Bereich möglicherweise gar nicht in einer schwierigen Einkommenslage.

Um die Vorzüge der Besteuerung landwirtschaftlicher Einkünfte nicht zu verlieren, betreiben die Landwirte die Energieerzeugung aber als Gewerbebetrieb. Gleichzeitig erfolgt die Gewährung von Krisenhilfen allein nach der Maßgabe, in welcher Höhe es bei einzelnen landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu Erlösausfällen gekommen ist. Hilfen werden also getrennt für Verluste bei einzelnen Produkten wie zum Beispiel Weizen gewährt, ganz unabhängig davon, wie es bei den anderen Ackerkulturen (wie Mais oder Zuckerrüben) gelaufen ist, und eben auch unabhängig davon, wie gut nichtlandwirtschaftliche Einkommensquellen sprudeln und wie hoch das Einkommen und das Vermögen des landwirtschaftlichen Haushalts insgesamt ist.

Viel wichtiger als der Umgang mit der aktuellen Situation ist aber die Frage, was mittel- bis langfristig geändert werden müsste, damit die Landwirtschaft widerstandsfähiger wird und es nicht in jedem zweiten oder dritten Jahr zu Forderungen nach Ad-hoc-Katastrophenhilfen kommt. Die Landwirte müssen dazu vermutlich an der bisherigen Produktionsweise ansetzen und an vielen Standorten innerbetriebliche Anpassungsentscheidungen wie den Anbau trockenheitsresistenterer Sorten oder Kulturen, vielfältigere Fruchtfolgen und robustere Produktionstechnologien in Erwägung ziehen. Ihre Kenntnisse am jeweiligen Standort helfen ihnen dabei, sie sollten aber bei derartigen Innovationen so gut wie möglich durch die Wissenschaft und die Beratung unterstützt werden. Da Risikomanagement immer Geld kostet und verschiedene Maßnahmen wechselseitig substituierbar sind, werden rationale Landwirte sich jedoch innerbetrieblich tendenziell weniger an gestiegene Risiken anpassen und riskantere Produktionsentscheidungen treffen, solange sie erwarten können, dass eine kostenlose außerbetriebliche Risikoabsicherung in Form von wiederkehrenden staatlichen Krisenhilfen zur Verfügung steht.

Dasselbe Argument gilt auch für die Subventionierung von Versicherungsprämien, wie sie vehement von der deutschen Versicherungswirtschaft gefordert wird. Wer versichert ist, handelt tendenziell riskanter; und wer sich sehr günstig versichern kann, weil der Staat einen Teil der Versicherungsprämie übernimmt, wird mehr Versicherungen abschließen und noch riskanter handeln.

Neben der Anpassung der Produktion ist die Bildung eigener Liquiditätsreserven eine der wichtigsten innerbetrieblichen Maßnahmen der Risikovorsorge. Vor diesem Hintergrund fordert der Deutsche Bauernverband seit Jahren eine „steuerliche Risikoausgleichsrücklage“. Das bedeutet, dass man in guten Jahren aus dem unversteuerten Gewinn eine Rücklage (Liquiditätsreserve) bilden kann, die man in schlechten Jahren gewinnwirksam auflöst. Steuerlich ist damit für die Landwirte in der Progressionszone wegen der Einkommensglättung eine gewisse Steuerersparnis verbunden. Für juristische Personen oder Landwirte in der Proportionalzone ergibt sich durch dieses Instrument lediglich eine Steuerstundung.

Die Risikoausgleichsrücklage, die als steuerliche Sonderregelung für die Landwirtschaft einigen bürokratischen Aufwand verursachen würde, hilft allerdings nur dann, wenn die Landwirte sie tatsächlich „ansparen“ und das Geld kurzfristig verfügbar auf einem Konto für die Not vorhalten. Ob die Landwirte das in der breiten Masse allein aufgrund des kleinen steuerlichen Anreizes machen würden, ist fraglich. Eine in der Forstwirtschaft seit 1969 zur Verfügung stehende Risikoausgleichsrücklage wurde „mangels Attraktivität“ kaum genutzt. Dasselbe ist für die Landwirtschaft zu befürchten, es sei denn, man verpflichtet die Landwirte, in den guten Jahren beispielsweise einen Teil der ohnehin gewährten Direktzahlungen als liquide Mittel in die Risikoausgleichsrücklage einzulegen (Reservenbildung). Davon hätten alle etwas. Die Landwirte bildeten eigene Krisenreserven, die sie in schlechten Jahren nutzen könnten, um Zahlungsschwierigkeiten zu vermeiden; und die Gesellschaft bekäme für die Direktzahlungen, die den Landwirten bisher vollständig zur freien Verfügung stehen, einen wirtschaftlich resilienteren Landwirtschaftssektor, der nicht alle paar Jahre nach zusätzlichen Hilfen rufen muss. Wenn staatliche Ad-hoc-Hilfen in ganz schlechten Jahren doch noch gewährt werden sollten, könnten sie ohne weiteres mit einer derart ausgestalteten Risikoausgleichsrücklage verbunden werden. Sie müssten dazu als Überbrückungsdarlehen in die Rücklage eingezahlt und aus dieser auch wieder zurückgezahlt werden. Das würde denjenigen helfen, die trotz Bildung eigener Liquiditätsreserven – etwa bei zwei kurz aufeinanderfolgenden Extremjahren – eine Liquiditätshilfe benötigen. Es würde aber den „Run“ auf die Adhoc- Hilfen abmildern, da diese keine zusätzlichen Einkommenstransfers mehr darstellten, sondern rückzahlbare Darlehen.

Trotz des gezielt in der Öffentlichkeit verwendeten Begriffs scheint es dem Deutschen Bauernverband mit seiner Forderung nach einer steuerlichen Risikoausgleichsrücklage gar nicht um Risikoabsicherung durch Rücklagenbildung zu gehen. Er möchte die Risikoausgleichsrücklage nicht als Liquiditätsreserve, sondern als rein steuerliches Instrument ausgestalten. Das bedeutet Folgendes: Ein Landwirt hat ein gutes Jahr und erzielt ein zu versteuerndes Einkommen von 100 000 Euro. Er kann diesen Gewinn rein buchungstechnisch um beispielsweise 30 000 Euro mindern und dies bei der Steuererklärung als Risikoausgleichsrücklage bezeichnen. Er wäre aber trotzdem vollkommen frei in der Verwendung der unversteuerten 30 000 Euro. Er könnte sie für den Landkauf verwenden und müsste sie nicht als kurzfristig verfügbare Liquiditätsreserve halten. Gerade erfolgreiche Landwirte und juristische Personen würden diese buchungstechnische Rücklage wegen der Steuerersparnis bis zur zulässigen Höhe bilden, die Rücklage aber buchungstechnisch nie mehr auflösen, wenn sie nicht müssen. Eine derartige „Rücklage“ hätte nichts mit eigener Risikovorsorge durch Bildung von Rücklagen zu tun, sondern wäre lediglich eine versteckte Subvention in Form eines Steuererlasses. Auf Gewinne in Höhe der buchungstechnisch gebildeten Rücklage müsste der Landwirt ja keine Steuern bezahlen. Sonst würde sich aber nichts ändern, da ja alles nur eine (Luft-)Buchung ist.

 

Dieser Text erschien auch am 14.8.18 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (Seite 17). 

 

 

 

 

Keine Kommentare

Kommentar verfassen