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Ein Beitrag von Dr. Anke Zühlsdorf. Sie ist geschäftsführende Gesellschafterin der Zühlsdorf + Partner Agentur für Verbraucherforschung und Lebensmittelmarketing und Lehrbeauftragte für das Modul „Empirische Methoden: Marktforschung und Verbraucherverhalten“ an der Universität Göttingen

Wir zeigen in unserer Studie, dass ernährungspolitische Maßnahmen wie Zuckersteuern einen überraschend großen Rückhalt in der Bevölkerung haben.


Der Anstieg ernährungsbedingter Erkrankungen führt zu hohen gesellschaftlichen Folgekosten. Im internationalen Vergleich ist die deutsche Politik jedoch bisher zurückhaltend mit politischen Interventionen, die ein gesundes Ernährungsverhalten der Bürgerinnen und Bürger unterstützen. Stärkere Eingriffe wie Lenkungssteuern oder Verbote in der Bevölkerung seien unpopulär, so die Befürchtung. Und viele Politiker und Politikerinnen haben dabei noch das Medienecho in Erinnerung, als die Grünen im Bundestagswahlkampf 2013 einen Veggie-Day vorschlugen und daraufhin als „Bevormundungspartei“ abgestempelt wurden. In jüngerer Zeit wächst jedoch der Druck auf die Politik durch Ärzteverbände und Krankenkassen, die eine stärkere Unterstützung der Verbraucherinnen und Verbraucher im Kampf gegen die gesundheitlichen Folgen von Fehlernährung einfordern.

Wie stehen die Bürgerinnen und Bürger selbst dazu? In einer Studie in der Abteilung für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte der Universität Göttingen sind wir dieser Frage genauer nachgegangen und konnten zeigen: In Deutschland gibt es einen deutlichen Rückhalt für ernährungspolitisches Handeln. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Nutrients erschienen.

Photo by Ylanite Koppens on Pexels.com

Für die Studie wurden mehr als 1.000 Verbraucherinnen und Verbraucher online zu verschiedenen, aktuell diskutierten Maßnahmen wie Werbeverbote für Kinderlebensmittel mit hohem Zuckergehalt und Zucker- sowie Softdrink-Steuern befragt. Die Gruppe der Befragten entspricht im Alter, Geschlecht, Bildung und Region dem Durchschnitt der deutschen Bevölkerung. Insgesamt befürworten gut 60 Prozent der Bürger ernährungspolitisches Handeln des Staates. Je nach Instrument zeigen sich Zustimmungswerte zwischen 34 und 79 Prozent. Ein Viertel der Befragten ist beim Thema Ernährungspolitik gleichgültig. Lediglich 11 Prozent sind grundsätzlich ablehnend.

Unsere Studie widerlegt die pauschale Befürchtung, dass sich die Bürger vom Staat grundsätzlich nicht in ihre Ernährung reinreden lassen wollen und zeigt einen deutlichen Spielraum für staatliches Handeln. Ein zentrales Forschungsergebnis ist, dass die Bewertung nicht zwangsläufig davon abhängt, wie schwer es jemandem fällt, sich gesund zu ernähren (und damit selbst zu den Betroffenen ernährungspolitischer Interventionen gehört). Die Vermutung, dass sich zum Beispiel Menschen mit einer Leidenschaft für Süßes eher gegen eine Zucker-Steuer aussprechen, bestätigt sich nicht. Rund 17 Prozent der Befragten, die solche Schwierigkeiten einräumen, befürworten deutlich eine weitreichende staatliche Einflussnahme. Rund 12 Prozent hingegen lehnen sie ab. Bei Menschen, die sich gesund ernähren, befürworten 33 Prozent ernährungspolitische Maßnahmen. Aber auch hier gibt es bei 12 Prozent der Befragten eine ablehnende Haltung.

Einstellung zu staatlichen Eingriffen vor dem Hintergrund der eigenen Betroffenheit 

Insgesamt gibt es fünf Gruppen in der Bevölkerung, die sich in ihrer Einstellung zu staatlichen Eingriffen vor dem Hintergrund der eigenen Betroffenheit voneinander unterscheiden. Politische Entscheider sollten im Blick haben, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für ernährungspolitischer Maßnahmen auf unterschiedlichen Motiven beruht und bei der Implementierung zielgruppenspezifisch argumentieren.

Die Beurteilung einzelner Maßnahmen fällt dabei durchaus unterschiedlich aus. Insgesamt zeigt sich, dass die Bevölkerung strikteren Marktregulierungen zur Verbesserung der Markttransparenz überwiegend zustimmt und bei lenkenden Eingriffen wie Konsumsteuern gespalten ist. Bei letzteren Instrumenten kommt es auf die konkrete Ausgestaltung an. Unsere Studienergebnisse sprechen dafür, dass Begründungen, Framing und Aufkommensneutralität für die Akzeptanz von Lenkungssteuern im Ernährungsbereich von zentraler Bedeutung sind.

Akzeptanz verschiedener ernährungspolitischer Instrumente (zusammenfassender Überblick)

Fazit: In der Forschung gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher überfordert sind. Um die Menschen bei einer gesunden Ernährung zu unterstützen, reicht keine einzelne Maßnahme. So wie es kein einzelnes Superfood gibt, sondern es auf das Ernährungsmuster insgesamt ankommt, so geht es auch in der Ernährungspolitik um eine breite Unterstützung durch eine Verbesserung der Ernährungsumgebung insgesamt: Günstigere Preise für gesundheitsförderliche Lebensmittel, klare Informationen, den Schutz von Kindern vor Werbeeinflüssen für Softdrinks & Co etc. 

Die Studie wurde im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. durchgeführt. 


Originalveröffentlichung (Open Acess): Jürkenbeck, K., Zühlsdorf, A., Spiller, A. (2020), „Nutrition Policy and Individual Struggle to Eat Healthily: The Question of Public Support“, Nutrients 2020, 12(2), 516; https://doi.org/10.3390/nu12020516

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