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Imagedesaster Zucker: Verbraucherbefragung zeigt, wie schlecht Haushaltszucker von der Bevölkerung eingeschätzt wird

– ein Beitrag von Dr. Anke Zühlsdorf (Zühlsdorf + Partner, Agentur für Verbraucherforschung und Lebensmittelmarketing) & Prof. Dr. Achim Spiller (Lehrstuhl Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte, Georg-August-Universität Göttingen)

Historisch betrachtet ist der Zuckerrübenanbau und die Entstehung der Zuckerindustrie in Deutschland eine Erfolgsstory für die Landwirtschaft. Kontinuierliche Züchtungsfortschritte und abgeschottete Märkte machten den Anbau der „Königin der Feldfrüchte“ attraktiv. Und zum Süßen war der aus ihr gewonnene Zucker für Lebensmittelindustrie wie KonsumentInnen lange Zeit alternativlos. Heute steht die Branche aber unter Druck. Der Wegfall der Zuckermarktordnung und das intendierte Verbot neonicotinoider Wirkstoffe beim Pflanzenschutz verschlechtert die Wirtschaftlichkeit des Zuckerrübenanbaus. Viele LandwirtInnen verfolgen diese Entwicklung mit Sorgen.

Viel weniger Beachtung findet in der Landwirtschaft dagegen das Image von Zucker. Unsere Befragungsergebnisse zeigen, dass das Ansehen von herkömmlichem Haushaltszucker auf einem Tiefpunkt ist [1]. Besonders prägnant lässt sich dies in einem Vergleich der Eigenschaftsprofile von Haushaltszucker und zehn Zuckeralternativen erkennen. Viele andere Zuckerarten und süßende Zutaten werden als deutlich gesundheitsförderlicher als Haushaltszucker eingeschätzt – selbst Glukose-Fruktosesirup (vgl. Abb. 1). Nur 4,7% der Befragten sehen Haushaltszucker als gesund an, während mehr als 70% für Honig eine positive Gesundheitseinschätzung abgeben. Gleichzeitig wird Haushaltszucker als relativ unnatürlich wahrgenommen. Möglicherweise wissen VerbraucherInnen nicht ausreichend über die Zuckerrübe als Rohstoff für die Zuckergewinnung Bescheid und unterschätzen zudem die Eingriffstiefe der notwendigen Verarbeitungsschritte zur Gewinnung anderer Zuckeralternativen.

Abb. 1: Gesundheits- und Natürlichkeitsimages; Quelle: Zühlsdorf et al. (2021)

Auf dem Lebensmittelmarkt werden zahlreiche Alternativen zum klassischen Haushaltszucker angeboten und für die Lebensmittelverarbeitung eingesetzt (vgl. zur Übersicht die Hintergrundinfos am Ende des Beitrags). Aus ernährungsphysiologischer Perspektive spielt es jedoch keine Rolle aus welcher Quelle Zucker stammt. Honig, Dicksäfte oder Fruchtsüßen können eine geschmackliche Alternative zum Haushaltszucker sein, was bei bestimmten Produkten geschätzt wird, gesundheitlich vorteilhafter sind sie jedoch nicht (LAVES 2020). Für die Lebensmittelindustrie sind über die süßende Wirkung hinaus zudem weitere sensorische und technologische Eigenschaften relevant. Neben Haushaltszucker werden viele andere Zuckerarten (z. B. Fruktose, Dextrose, Laktose, Glukosesirupe) verwendet, die sich in ihrem Aufbau und Eigenschaften unterscheiden (Lebensmittelverband Deutschland 2020). Auch zahlreiche Süßungsmittel (Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe), die zu den zulassungspflichtigen Zusatzstoffen zählen, sind seit langem in relativ breitem Umfang auf dem Markt (WBAE 2020).

Insgesamt wird aus den Befragungsergebnissen deutlich, dass die Kenntnis der relevanten Eigenschaften unterschiedlicher Zuckerarten, süßender Lebensmittel und Süßungsmittel vielfach lückenhaft ist. Dass die VerbraucherInnen z. B. Birkenzucker natürlicher als Rübenzucker einschätzen, ist schon verwunderlich. Die verbreiteten Überschätzungen des Gesundheitswertes und der Natürlichkeit von Zuckeralternativen bieten Potenzial für irreführende Marketing-Claims. Alternativen wie Fruchtsüßen werden derzeit von der Ernährungsindustrie gerne genutzt – nicht zuletzt, weil sie die Werbeaussage „Süße nur aus Früchten“ ermöglichen und damit den Eindruck erwecken, dass das so beworbene Produkt gesünder als eine herkömmlich gezuckerte Alternative sei.

Unsere Studienergebnisse machen auch das Scheitern der langjährigen Abwehrstrategie deutlich, mit der die Zuckerwirtschaft auf die wissenschaftliche Diskussion der gesundheitlichen Risiken eines hohen Zuckerkonsums reagiert hat. Über viele Jahrzehnte versucht die Branche nun schon, Zucker als „gesundheitlich neutral“ darzustellen. In der gesellschaftlichen Auseinandersetzung wurde in den 1980 bis Anfang 2000er Jahren in der Tat auch mehr über Fett diskutiert (die sog. Light-Welle). Das hat sich heute grundlegend geändert. Schlechter kann das Image von Haushaltszucker kaum noch werden.

Bei den VerbraucherInnen sind die gesundheitlichen Folgen, die mit einem Übermaß an Zucker in unserer Nahrung assoziiert sind, wie etwa die Entstehung von Übergewicht, Diabetes mellitus Typ 2, kardiovaskulären Erkrankungen, Karies (WBAE 2020, WHO 2015 und 2017), offensichtlich angekommen. Wissenschaftliche Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) und die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) empfehlen wie auch die WHO Zurückhaltung beim Zuckerkonsum. Die maximale Zufuhr von freiem Zucker sollte möglichst nicht über 10%, nach der Position der WHO sogar möglichst nur 5% der Gesamtenergiezufuhr ausmachen. Im Vergleich zu diesen Empfehlungen liegt die Zufuhr an freiem Zucker in Deutschland deutlich über dem empfohlenen Anteil, dies gilt besonders ausgeprägt für jüngere Altersgruppen (Ernst et al. 2018). Als „freie Zucker“ werden alle Zuckerarten verstanden, die Speisen und Getränken beigefügt werden sowie auch jener Zucker, der natürlich z. B. in Honig, Sirup, Fruchtsaftkonzentraten und Fruchtsäften/Nektaren vorkommt. Unsere Studienergebnisse zeigen, wie fest heute vor allem herkömmlicher Haushaltszucker im Problembewusstsein der Menschen verankert ist. Die Studie verdeutlicht aber auch, dass andere Zuckerquellen deutlich positiver gesehen werden. Letzteres ist keine gute Entwicklung, da ein erheblicher Teil der VerbraucherInnen auch Alternativen zum Haushaltszucker, die kein wesentlich anderes Gesundheitsprofil aufweisen, für deutlich gesünder und natürlicher halten. Hier besteht offensichtlich noch Potenzial für Aufklärung, z. B. durch den Nutri-Score, der solche Fehlwahrnehmungen adressiert.


[1] Die Ergebnisse sind im Rahmen einer umfassenden Studie erhoben worden, in der das Verbraucherverständnis von Marketingclaims über die Süße-Eigenschaften von Lebensmitteln untersucht wurde. In einer Online-Befragungen wurden über 1.000 VerbraucherInnen befragt, die hinsichtlich Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Haushaltsgröße und Region repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ausgewählt wurden.

Die Daten wurden im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts der Zühlsdorf + Partner Agentur für Verbraucherforschung und Lebensmittelmarketing und des Lehrstuhls „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ der Universität Göttingen erhoben. Das Projekt wurde im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. durchgeführt.

Im Rahmen der Studie wurden zwei repräsentative Online-Befragungen mit jeweils über 1.000 Befragten durchgeführt. Die Ergebnisse sind in einen zusammenfassenden Bericht mit den zentralen Befragungsergebnissen aus beiden Verbraucherbefragungen sowie einem Chartbook (alle Ergebnisse + methodische Erläuterungen) dokumentiert und sind als Download verfügbar:

Zühlsdorf, A., Jürkenbeck, K., Mehlhose, C., Spiller, A. (2021): „Süße“-Marketingclaims: Wie verstehen Verbraucher Werbehinweise zu Zuckerreduktion, Süßungsmitteln und anderen süßenden Zutaten auf Lebensmitteln?, Ergebnisse zweier repräsentativer Umfragen (zusammenfassender Ergebnisbericht), wissenschaftliche Studie im Auftrag des vzbv, Göttingen.

Zühlsdorf, A., Jürkenbeck, K., Mehlhose, C., Spiller, A. (2021): „Süße“-Marketingclaims: Wie verstehen Verbraucher Werbehinweise zu Zuckerreduktion, Süßungsmitteln und anderen süßenden Zutaten auf Lebensmitteln?, Ergebnisse zweier repräsentativer Umfragen (Chartbook zur Umfrage), wissenschaftliche Studie im Auftrag des vzbv, Göttingen.

Literatur

Ernst JB, Arens-Azevêdo U, Bitzer B et al. (2018): Quantitative Empfehlungen zur Zuckerzufuhr in Deutschland. Konsensuspapier Deutsche Adipositas-Gesellschaft, Deutsche Diabetes Gesellschaft und Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Bonn.

Lebensmittelverband Deutschland (2020): Nährstoffe. Kohlenhydrate und Zucker, https://www.lebensmittelverband.de/de/lebensmittel/inhaltsstoffe/kohlenhydrate-zucker, zuletzt abgerufen am 27.11.2020.

Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) (2020): Süßen ohne Zucker – geht das? Süßende Lebensmittel und Süßungsmittel, https://www.laves.niedersachsen.de/startseite/lebensmittel/lebensmittelgruppen/susswaren/sueen-ohne-zucker—geht-das-174967.html, zuletzt abgerufen am 27.11.2020.

WBAE (2020): Politik für eine nachhaltige Ernährung. Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und eine faire Ernährungsumgebung gestalten. Gutachten. Berlin, https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/wbae-gutachten-nachhaltige-ernaehrung.html, zuletzt abgerufen am 27.11.20.

WHO (World Health Organization) (2017): Sugars and dental caries. WHO technical information Note, WHO-NMH-NHD-17.12-eng.pdf.

WHO (World Health Organization) (2015): Guideline: sugars intake for adults and children. https://www.who.int/publications/i/item/9789241549028, zuletzt abgerufen am 30.06.20.

Hintergrundinfos

Zutaten und Zusatzstoffe zum Süßen von Lebensmitteln; Quelle: Zühlsdorf et al. (2021)
Eigenschaften und Deklaration von ausgewählten Zuckerarten und Süßungsmitteln; Quelle: Zühlsdorf et al. (2021)
Charakteristika der abgefragten Zuckerarten und Zuckeralternativen; Quelle: Zühlsdorf et al. (2021)

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